Wir wissen nichts mit uns anzufangen und sind gelähmt von der klebrigen Hitze des Sommers. Während die beiden Jungs in die Bahnhofshalle starren, streife ich möglichst unauffällig mit der Hand meine Achselhöhle, tue danach so, als würde mir die Nase jucken, und rieche an meinen Fingern, während ich mich kratze. Heute Morgen erst war ich duschen, und jetzt miefe ich schon wieder. Aber Achselhaare sind ein Muss. Viel zu lange haben wir Frauen uns von der Mode-und Kosmetikindustrie unterdrücken lassen!
Nick pustet mit seinem Strohhalm hinein in den weißen Pappbecher mit dem gelben M und beobachtet seine Cola dabei, wie sie blubbernde Blasen wirft.
„Hör mal auf damit“, sage ich. „Das nervt.“ Seit Nick mich hat abblitzen lassen, weiß ich nicht mehr so recht mit ihm umzugehen. Er reagiert auch diesmal nicht auf das, was ich sage. Ich schaue weg. Die Werbung an den Wänden will uns weismachen, dass wir nur Burger aus Bio-Rindfleisch fressen müssen, um die Welt zu retten.
„Schmeckt gar nicht so schlecht“, sagt Joh mit vollem Mund.
„Das sagst du nur wegen dem guten Gewissen, das du dazubekommen hast“, entgegne ich. „So wie früher die Überraschung im Happy-Meal.“
Joh schmatzt. Sauce hängt an seiner Wange, auf der Seite mit dem Leberfleck. Ich greife nach einer Serviette, feuchte sie mit Spucke an und strecke mich zu ihm hinüber. Als meine Finger schon kurz vor seinem Gesicht sind, schnappt er mich am Handgelenk.
„Willst du Armdrücken spielen?“, fragt er herausfordernd.
Ich rolle mit den Augen, lasse mich auf das Spielchen ein und besiege ihn. Dann wische ich die Sauce aus seinem Gesicht. Zwar hat Joh mich schon mehrmals darum gebeten, ihn bitte nicht zu bemuttern, aber ich kann einfach nicht anders; vor allem nicht, weil ich besser weiß als er, was gut für ihn ist.
Wir haben uns einen Tisch am Fenster gesucht, von dem aus wir die Stelle im Blick haben, um die es uns geht. Doch niemand bemerkt etwas. Anzugträger, deren Privatleben die Handgepäckgröße nicht überschreiten darf, hetzen telefonierend zu ihrem nächsten Zug. Punks, die mit absichtlicher Hässlichkeit provozieren, lungern vor einem Kiosk herum und trinken Bier. Die Polizei eskortiert eine Gruppe von Männern mit ausgemergelten Gesichtern und Frauen in wallenden Gewändern, schlafende, schreiende, staunende Kinder auf den Armen. Vermutlich werden sie in eine mit Feldbetten ausgestattete Turnhalle gebracht, in der es wie in allen Turnhallen nach dem Schweiß etlicher Schülergenerationen stinkt. Ob sie es sich so vorgestellt haben, das gelobte Land? Ein junger Kerl mit dunklen Augen, einer buschigen Monobraue und vernarbten Wangen bleibt stehen und betatscht mich mit seinem Blick. Bestimmt würde er mich gern heiraten und damit seinen Aufenthalt sichern. Ich wende mich ab.
„Gestern Abend in der Tagesschau haben sie zu mürrischer Indifferenz gegenüber dem Geschehen geraten“, meldet Nick sich zu Wort. Nachdem er das Rätsel der Relation zwischen der Stärke seiner Strohhalmpusterei und der Größe der Colablubberblasen gelöst und sich dazu vermutlich noch einen Algorithmus ausgedacht hat, ist er wieder bei uns.
„Ich kann´s immer noch nicht glauben, dass du dich jeden Abend um acht vor die Glotze setzt und Nachrichten guckst. Wie so ein richtiger, alter Sack.“ Joh lacht.
Nick runzelt die Stirn, nimmt seine Brille ab und verschmiert mit einem T-Shirt-Zipfel den Dreck auf den Gläsern.
Ich schüttle den Kopf. „Unfassbar ist das. Wir können doch nicht alle abstumpfen. Empört euch!“
„Och, Sina.“ Joh knüllt die Serviette zusammen, mit der ich ihm vorhin die Sauce aus dem Gesicht gewischt habe, wirft sie nach mir und trifft mich am Arm. „Kommt jetzt die Schuld-Leier?“
Ich hebe die Serviette auf und werfe sie zurück. Sie landet auf dem Nachbartisch, von dem sich vor wenigen Minuten eine Gruppe Halbstarker erhoben hat, ohne die Tabletts wegzuräumen.
„Du kannst nix dafür, dass du in einen Wohlstand auf Kosten anderer hineingeboren wurdest. Aus dem Mutterleib raus gab´s nur einen Ausgang.“
Joh hat leicht reden. Unangenehme Gedanken bläst er für gewöhnlich zusammen mit dem kratzigen Rauch aus der Bong in die Luft und davon.
Eine dunkelhäutige Putzfrau mit blauem Turban räumt den Müll vom Nachbartisch. Sie schiebt ihren kolossalen Körper zusammen mit dem Wagen voller Reinigungsmitteln an uns vorbei und summt.
„Die Erbsünde Kolonialismus“, sagt Nick, als sie außer Hörweite ist. Sein Humor überrascht mich immer wieder.
„Hört auf mit solchen Themen“, beschwert sich Joh. „Ich esse noch.“
Schweigend gucken wir nach draußen, aber immer noch tut sich nichts.
„Na dann … guten Appetit.“ Ich tunke eine Pommes in meine Ketchup-Majo-Mischung und kaue auf dem labbrigen Ding herum. Nick beugt sich über seinen Colabecher und schlürft den Rest der Plörre in einem Zug aus. Dann lehnt er sich zurück, verschränkt die Arme hinter dem Kopf und wackelt mit dem rechten Bein. Er ist noch nervöser als sonst. Ein Beanie-trotz-Sommer-Träger betritt das Schnellrestaurant, und der Lärm der Bahnhofshalle dröhnt zu uns herein.
„Sehr geehrte Fahrgäste! Wir bitten um Ihre Mithilfe. Lassen Sie Ihr Gepäck nicht unbeaufsichtigt.“
Ich beiße mir aufgeregt auf die Lippen und gucke die Jungs an. Nick verzieht keine Miene, aber Joh lächelt, wie ein Kind am ersten April.
Auf dem Nachhauseweg von der Party gestern haben wir ihn gefunden. Er stand zwischen dem Sperrmüll eines Reihenhauses.
„Habt ihr von dem Bahnhof gehört, der wegen eines herrenlosen Koffers komplett geräumt werden musste?“, fragte Nick.
„Passiert so was nicht ständig?“, wollte Joh wissen.
„Seit wir uns laut Papst offiziell im dritten Weltkrieg befinden – bestimmt!“, antwortete Nick.
„Echt jetzt? Dritter Weltkrieg? Krass.“ Joh begann, einen zu bauen.
„Stell dir vor, es ist Krieg und keiner kriegt´s mit“, sagte ich und brachte Nick damit zum Grinsen.
Im Schein der Laterne rauchten wir einen Joint. Als Nick ihn auf dem Boden austrat und weitergehen wollte, stieß Joh mir mit dem Ellenbogen in die Seite. Er hatte beide Augenbrauen hochgezogen und deutete mit dem Kopf auf den alten Lederkoffer.
„Du hast doch einen Knall“, zischte ich.
Er zuckte mit den Schultern. „Wer nicht?“
Wir nahmen den Koffer mit.
„Will noch jemand ´n Eis?“, frage ich in die Runde.
„Gibst du aus, oder was?“ Joh reibt sich die Hände.
„Bist du schon wieder pleite? Dann bleibt mir ja nichts anderes übrig.“
„Super! Für mich einmal Schoko.“
„Willst du auch was?“, frage ich Nick.
Er druckst herum.
„Das passt schon“, beruhige ich ihn. „Sag einfach, was du willst.“
„Bist du sicher?“
„Ja“, stöhne ich. „Verdammt, wir kennen uns doch nicht erst seit gestern.“
„Dann einmal Karamell, bitte.“
„Okay. Bis gleich.“
Die Schlange an der Kasse ist nicht mehr ganz so lang wie vor ein paar Jahren, daran ändert auch das neue, grüne Logo nichts. Vor mir wartet eine Asiatin. Zwischen Oberteil und Rock ist gerade genug helle Haut sichtbar, um Aufmerksamkeit, aber keinen Anstoß zu erregen. Mit beiden Daumen tippt sie auf ihrem Smartphone herum und schreckt erst aus ihrer Bildschirmversunkenheit hoch, als der Kassierer zum zweiten Mal nach der Bestellung fragt. Dann bin ich an der Reihe, zahle, erhalte drei McSundaes und gehe damit zum Fenstertisch zurück.
„Danke, Mann.“
„Kein Problem. Ist er mittlerweile jemandem aufgefallen?“
Jeder echte Frankfurter weiß, dass neben dem Stehcafé mit den Schokocroissants der tote Winkel der Überwachungskameras liegt. Joh hat den Koffer vorhin im Gehen dort abgestellt. Wir haben beste Sicht auf das olle Teil.
Nick lehnt sich zu uns und flüstert: „Die offiziellen Bullen sind noch nicht da. Aber die Damen mit den roten Mützchen fangen an, Passanten anzusprechen. Ich glaube, sie versuchen, den Besitzer ausfindig zu machen.“
Wir löffeln unser Eis.
„Und jetzt?“, frage ich, als mein Becher leer ist.
„Jetzt warten wir“, antwortet Joh.
„Aber wir warten schon so lange“, nöle ich. „Und ich hasse Warten. Es fühlt sich an wie vergeudete Lebenszeit.“
Joh seufzt. „Je schneller du rennst, desto mehr verliert dein Leben an Tiefe.“
Seit er die Uni geschmissen hat, wartet er regelmäßig mit Yogi-Tee-Sprüchen auf.
„Also von mir aus können wir auch so langsam“, sagt Nick. „Es ist bald acht und ihr wisst ja … die Tagesschau.“ Er stapelt unsere Tabletts aufeinander, sortiert den Müll nach Farben.
Joh sucht meinen Blick, und ich sehe, dass seine Augen verdächtig glänzen. „Komm schon, Sinchen“, versucht er mich zum Bleiben zu überreden. „Bestimmt geht‘s gleich los.“
Ich schüttle den Kopf. „Der Koffer ist doch sowieso leer. Selbst wenn es eine Evakuierung gibt, merken die Spürhunde das sofort. Unser Plan war scheiße.“
Nick ist gerade dabei, alle Strohhalme so zu drehen, dass der rote Streifen nach oben zeigt. Er stockt. „Es gab einen Plan?“
„Na, die Menschheit für einen kurzen Moment aus ihrem Alltagstrott reißen. Vielleicht wäre ihr dann aufgefallen, was abgeht.“
Joh und Nick gucken sich an und lachen. „Och, Sina.“
Nick steht auf und bringt unsere Tabletts zum Geschirrwagen. Joh hat eine Serviette behalten und faltet sie zu immer kleiner und dicker werdenden Vierecken. Ein letztes Mal schaue ich in die Bahnhofshalle.
Aber nichts passiert.
Nick pustet mit seinem Strohhalm hinein in den weißen Pappbecher mit dem gelben M und beobachtet seine Cola dabei, wie sie blubbernde Blasen wirft.
„Hör mal auf damit“, sage ich. „Das nervt.“ Seit Nick mich hat abblitzen lassen, weiß ich nicht mehr so recht mit ihm umzugehen. Er reagiert auch diesmal nicht auf das, was ich sage. Ich schaue weg. Die Werbung an den Wänden will uns weismachen, dass wir nur Burger aus Bio-Rindfleisch fressen müssen, um die Welt zu retten.
„Schmeckt gar nicht so schlecht“, sagt Joh mit vollem Mund.
„Das sagst du nur wegen dem guten Gewissen, das du dazubekommen hast“, entgegne ich. „So wie früher die Überraschung im Happy-Meal.“
Joh schmatzt. Sauce hängt an seiner Wange, auf der Seite mit dem Leberfleck. Ich greife nach einer Serviette, feuchte sie mit Spucke an und strecke mich zu ihm hinüber. Als meine Finger schon kurz vor seinem Gesicht sind, schnappt er mich am Handgelenk.
„Willst du Armdrücken spielen?“, fragt er herausfordernd.
Ich rolle mit den Augen, lasse mich auf das Spielchen ein und besiege ihn. Dann wische ich die Sauce aus seinem Gesicht. Zwar hat Joh mich schon mehrmals darum gebeten, ihn bitte nicht zu bemuttern, aber ich kann einfach nicht anders; vor allem nicht, weil ich besser weiß als er, was gut für ihn ist.
Wir haben uns einen Tisch am Fenster gesucht, von dem aus wir die Stelle im Blick haben, um die es uns geht. Doch niemand bemerkt etwas. Anzugträger, deren Privatleben die Handgepäckgröße nicht überschreiten darf, hetzen telefonierend zu ihrem nächsten Zug. Punks, die mit absichtlicher Hässlichkeit provozieren, lungern vor einem Kiosk herum und trinken Bier. Die Polizei eskortiert eine Gruppe von Männern mit ausgemergelten Gesichtern und Frauen in wallenden Gewändern, schlafende, schreiende, staunende Kinder auf den Armen. Vermutlich werden sie in eine mit Feldbetten ausgestattete Turnhalle gebracht, in der es wie in allen Turnhallen nach dem Schweiß etlicher Schülergenerationen stinkt. Ob sie es sich so vorgestellt haben, das gelobte Land? Ein junger Kerl mit dunklen Augen, einer buschigen Monobraue und vernarbten Wangen bleibt stehen und betatscht mich mit seinem Blick. Bestimmt würde er mich gern heiraten und damit seinen Aufenthalt sichern. Ich wende mich ab.
„Gestern Abend in der Tagesschau haben sie zu mürrischer Indifferenz gegenüber dem Geschehen geraten“, meldet Nick sich zu Wort. Nachdem er das Rätsel der Relation zwischen der Stärke seiner Strohhalmpusterei und der Größe der Colablubberblasen gelöst und sich dazu vermutlich noch einen Algorithmus ausgedacht hat, ist er wieder bei uns.
„Ich kann´s immer noch nicht glauben, dass du dich jeden Abend um acht vor die Glotze setzt und Nachrichten guckst. Wie so ein richtiger, alter Sack.“ Joh lacht.
Nick runzelt die Stirn, nimmt seine Brille ab und verschmiert mit einem T-Shirt-Zipfel den Dreck auf den Gläsern.
Ich schüttle den Kopf. „Unfassbar ist das. Wir können doch nicht alle abstumpfen. Empört euch!“
„Och, Sina.“ Joh knüllt die Serviette zusammen, mit der ich ihm vorhin die Sauce aus dem Gesicht gewischt habe, wirft sie nach mir und trifft mich am Arm. „Kommt jetzt die Schuld-Leier?“
Ich hebe die Serviette auf und werfe sie zurück. Sie landet auf dem Nachbartisch, von dem sich vor wenigen Minuten eine Gruppe Halbstarker erhoben hat, ohne die Tabletts wegzuräumen.
„Du kannst nix dafür, dass du in einen Wohlstand auf Kosten anderer hineingeboren wurdest. Aus dem Mutterleib raus gab´s nur einen Ausgang.“
Joh hat leicht reden. Unangenehme Gedanken bläst er für gewöhnlich zusammen mit dem kratzigen Rauch aus der Bong in die Luft und davon.
Eine dunkelhäutige Putzfrau mit blauem Turban räumt den Müll vom Nachbartisch. Sie schiebt ihren kolossalen Körper zusammen mit dem Wagen voller Reinigungsmitteln an uns vorbei und summt.
„Die Erbsünde Kolonialismus“, sagt Nick, als sie außer Hörweite ist. Sein Humor überrascht mich immer wieder.
„Hört auf mit solchen Themen“, beschwert sich Joh. „Ich esse noch.“
Schweigend gucken wir nach draußen, aber immer noch tut sich nichts.
„Na dann … guten Appetit.“ Ich tunke eine Pommes in meine Ketchup-Majo-Mischung und kaue auf dem labbrigen Ding herum. Nick beugt sich über seinen Colabecher und schlürft den Rest der Plörre in einem Zug aus. Dann lehnt er sich zurück, verschränkt die Arme hinter dem Kopf und wackelt mit dem rechten Bein. Er ist noch nervöser als sonst. Ein Beanie-trotz-Sommer-Träger betritt das Schnellrestaurant, und der Lärm der Bahnhofshalle dröhnt zu uns herein.
„Sehr geehrte Fahrgäste! Wir bitten um Ihre Mithilfe. Lassen Sie Ihr Gepäck nicht unbeaufsichtigt.“
Ich beiße mir aufgeregt auf die Lippen und gucke die Jungs an. Nick verzieht keine Miene, aber Joh lächelt, wie ein Kind am ersten April.
Auf dem Nachhauseweg von der Party gestern haben wir ihn gefunden. Er stand zwischen dem Sperrmüll eines Reihenhauses.
„Habt ihr von dem Bahnhof gehört, der wegen eines herrenlosen Koffers komplett geräumt werden musste?“, fragte Nick.
„Passiert so was nicht ständig?“, wollte Joh wissen.
„Seit wir uns laut Papst offiziell im dritten Weltkrieg befinden – bestimmt!“, antwortete Nick.
„Echt jetzt? Dritter Weltkrieg? Krass.“ Joh begann, einen zu bauen.
„Stell dir vor, es ist Krieg und keiner kriegt´s mit“, sagte ich und brachte Nick damit zum Grinsen.
Im Schein der Laterne rauchten wir einen Joint. Als Nick ihn auf dem Boden austrat und weitergehen wollte, stieß Joh mir mit dem Ellenbogen in die Seite. Er hatte beide Augenbrauen hochgezogen und deutete mit dem Kopf auf den alten Lederkoffer.
„Du hast doch einen Knall“, zischte ich.
Er zuckte mit den Schultern. „Wer nicht?“
Wir nahmen den Koffer mit.
„Will noch jemand ´n Eis?“, frage ich in die Runde.
„Gibst du aus, oder was?“ Joh reibt sich die Hände.
„Bist du schon wieder pleite? Dann bleibt mir ja nichts anderes übrig.“
„Super! Für mich einmal Schoko.“
„Willst du auch was?“, frage ich Nick.
Er druckst herum.
„Das passt schon“, beruhige ich ihn. „Sag einfach, was du willst.“
„Bist du sicher?“
„Ja“, stöhne ich. „Verdammt, wir kennen uns doch nicht erst seit gestern.“
„Dann einmal Karamell, bitte.“
„Okay. Bis gleich.“
Die Schlange an der Kasse ist nicht mehr ganz so lang wie vor ein paar Jahren, daran ändert auch das neue, grüne Logo nichts. Vor mir wartet eine Asiatin. Zwischen Oberteil und Rock ist gerade genug helle Haut sichtbar, um Aufmerksamkeit, aber keinen Anstoß zu erregen. Mit beiden Daumen tippt sie auf ihrem Smartphone herum und schreckt erst aus ihrer Bildschirmversunkenheit hoch, als der Kassierer zum zweiten Mal nach der Bestellung fragt. Dann bin ich an der Reihe, zahle, erhalte drei McSundaes und gehe damit zum Fenstertisch zurück.
„Danke, Mann.“
„Kein Problem. Ist er mittlerweile jemandem aufgefallen?“
Jeder echte Frankfurter weiß, dass neben dem Stehcafé mit den Schokocroissants der tote Winkel der Überwachungskameras liegt. Joh hat den Koffer vorhin im Gehen dort abgestellt. Wir haben beste Sicht auf das olle Teil.
Nick lehnt sich zu uns und flüstert: „Die offiziellen Bullen sind noch nicht da. Aber die Damen mit den roten Mützchen fangen an, Passanten anzusprechen. Ich glaube, sie versuchen, den Besitzer ausfindig zu machen.“
Wir löffeln unser Eis.
„Und jetzt?“, frage ich, als mein Becher leer ist.
„Jetzt warten wir“, antwortet Joh.
„Aber wir warten schon so lange“, nöle ich. „Und ich hasse Warten. Es fühlt sich an wie vergeudete Lebenszeit.“
Joh seufzt. „Je schneller du rennst, desto mehr verliert dein Leben an Tiefe.“
Seit er die Uni geschmissen hat, wartet er regelmäßig mit Yogi-Tee-Sprüchen auf.
„Also von mir aus können wir auch so langsam“, sagt Nick. „Es ist bald acht und ihr wisst ja … die Tagesschau.“ Er stapelt unsere Tabletts aufeinander, sortiert den Müll nach Farben.
Joh sucht meinen Blick, und ich sehe, dass seine Augen verdächtig glänzen. „Komm schon, Sinchen“, versucht er mich zum Bleiben zu überreden. „Bestimmt geht‘s gleich los.“
Ich schüttle den Kopf. „Der Koffer ist doch sowieso leer. Selbst wenn es eine Evakuierung gibt, merken die Spürhunde das sofort. Unser Plan war scheiße.“
Nick ist gerade dabei, alle Strohhalme so zu drehen, dass der rote Streifen nach oben zeigt. Er stockt. „Es gab einen Plan?“
„Na, die Menschheit für einen kurzen Moment aus ihrem Alltagstrott reißen. Vielleicht wäre ihr dann aufgefallen, was abgeht.“
Joh und Nick gucken sich an und lachen. „Och, Sina.“
Nick steht auf und bringt unsere Tabletts zum Geschirrwagen. Joh hat eine Serviette behalten und faltet sie zu immer kleiner und dicker werdenden Vierecken. Ein letztes Mal schaue ich in die Bahnhofshalle.
Aber nichts passiert.