Eine Schweißperle rinnt deinen Rücken hinunter. Du spürst, wie sie jeden einzelnen Wirbel berührt. Dein Herzschlag ist unregelmäßig, fühlt sich viel zu schnell an. Du reibst deine Hände an deiner dunklen Kostümhose ab.
Einatmen, ausatmen, lächeln.
Deine Hand legt sich auf die kühle Türklinke, langsam drückst du sie hinunter. Zwölf Augenpaare schauen dich an, als du die Tür öffnest. Sie mustern dich von oben bis unten und du hast das Gefühl, unter ihren Blicken zu verbrennen.
Einatmen, ausatmen, lächeln.
Draußen ist es eisig. Der weiße Schnee ist von den Fußgängern zu einer schmutzigen Masse zertreten worden. Deine Füße sind nass, eigentlich ist es zu kalt für High-Heels. Erleichtert stößt du die Tür zu deinem Stammcafé auf, endlich Wärme. Es ist fünf Uhr zweiundzwanzig, dein fettfreier Caramel Macchiato steht wie jeden Morgen für dich bereit.
Du hast achtzehn Minuten Zeit.
Dein Blick wandert über die Brooklyn Street. Die Schaufenster sind mit bunten Lichterketten dekoriert, die ersten Weihnachtsmänner laufen durch die Straßen und drücken den Passanten Flyer in die Hände. Rabattaktionen überall, die Geschäfte laufen gut um die Weihnachtszeit.
Du hast ein Date nach dem anderen, schlitterst von einer Affäre in die nächste – nur um auch ein teures Männerparfüm oder eine seidene Krawatte kaufen zu können.
Mit keinem hast du es länger als drei Wochen ausgehalten, er konnte noch so charmant, noch so kreativ und intelligent, lustig oder einfühlsam sein- irgendetwas hat dir immer gefehlt.
Nie ist jemand dabei gewesen, dem du am nächsten Morgen nachgetrauert hast, wenn er die Tür hinter sich geschlossen und dein Apartment Downtown verlassen hat.
Der einzige Mann, den du jemals in deinem Leben vermisst hast, war dein Vater. Als er gegangen ist hat es sich angefühlt, als müsstest du ersticken. Der Kloß in deinem Hals ist mit jedem Tag, an dem er wegblieb, kleiner geworden. Die Schreie sind allmählich verstummt, die Tränen getrocknet.
Mit einem Nicken begrüßt du die Männer in ihren dunklen Anzügen, die im Halbkreis sitzen und schon auf dich warten. Sie wirken unecht mit den botoxglatten Gesichtern. Dein Avatar betrittt die weiße Box und du tippst auf die Stelle des Displays, die dein Abbild in den riesigen Bildschirm beamen wird. Anfangs war es komisch, sich mitten in der Blaupause der eigenen Präsentation zu sehen, doch mit der Zeit hast du angefangen, die Minuten in der virtuellen Welt zu genießen, die du dir selbst erschaffen hast. Dort läuft alles nach Plan, solange du dich an die Spielregeln hältst.
Nach Hause kommen und einen vertrauten Geruch einatmen, eine Umarmung zu spüren, die die Welt wieder in Ordnung bringt, bedingungslose Liebe – Papa hat alles mitgenommen. Möglichst lange bist du nach der Schule auf dem Spielplatz geblieben, denn das Einzige, was dich zu Hause erwartet hat, war der abgestandene Geruch nach Alkohol, heruntergelassene Rollläden und leere Pizzaschachteln.
Du bist älter geworden, aus dem Spielplatz wurden Einkaufszentren und schließlich fremde Zimmer von fremden Jungs.
Alles um dich herum ist dir vertraut, sicher bewegst du deinen Avatar von einer Grafik zur nächsten. Du magst es, wenn du genau weißt, was in der nächsten Sekunde passiert. Kontrolle, das ist eine Einstellung, die dein Leben bestimmt. Selbstdisziplin. Der Schlüssel zum Erfolg. Damit kannst du dir beweisen, dass du wertvoll bist.
Der Text der Präsentation, den du immer wieder umgeschrieben hast, hört sich für die zwölf Abteilungsleiter kompetent an, du wirkst selbstsicher. Keiner bemerkt deine Angst. Die Angst zu versagen, abgelehnt zu werden.
Sie hat deinen Vater geliebt, über alles. Der bewundernde Blick, wenn sie zu ihm aufgeschaut hat, der Stolz in ihren Augen, wenn er sie zum Essen ausführte. Die Lippen, die sie zusammengepresst hat wenn er dir im Bett vorlas. Wenn er dich seine Prinzessin nannte und dich im Garten so lange im Kreis drehte, bis dir schwindelig wurde. Einmal hat sie deine Schulhefte zerknickt und dir die Schuld zugewiesen. Ein anderes Mal hat sie eine Lok der Modelleisenbahn zerbeult, die dein Vater bei einer Auktion erstanden hat. Ihm hat sie abends erzählt, du hättest sie mutwillig zerstört. Ein drittes Mal hat sie dich in viel zu heißes Badewasser gesteckt, dir den Mund zugehalten und gesagt, du dürfest nicht schreien. Papa würde dich dann nicht mehr lieben. Ihm hat sie erzählt, du hättest einen Topf mit kochend heißem Wasser vom Herd heruntergerissen. Die Narben, die durch die Verbrennung entstanden sind, hast du weglasern lassen. Du tust dein Bestes, um perfekt zu sein.
Der Übergang von der virtuellen in die reale Welt ist ein Moment der Schwerelosigkeit. So muss es sich anfühlen, wenn man durch den Weltraum fliegt.
Die Präsentation ist dir gelungen, die Arbeit hat sich gelohnt. Du siehst dich bereits in der Chefetage, jemand wird seinen Platz für dich räumen müssen.
Immer weiter, immer mehr. Erfolg. Kontrolle. Perfektion. Macht.
Einatmen, ausatmen, lächeln.
Leise hast du die Tür aufgeschlossen und bist auf Zehenspitzen in dein Zimmer geschlichen. Sie hat auf deinem Bett gesessen und dich erwartet. Die Beine hat sie übereinandergeschlagen, mit dem Fuß ungeduldig gewippt.
Den Blick hat sie auf dich gerichtet, als ob sie ein Ziel anvisiert, auf das sie schießen möchte. Wo du dich rumgetrieben hättest, wollte sie wissen. Deine Lehrerin hätte angerufen, du wärest in letzter Zeit übermüdet und abgespannt, ob denn alles in Ordnung wäre. Bevor du ihr hast antworten können, ist sie aufgestanden und hat dich geschlagen. Mitten ins Gesicht.
Wieso du dich nicht einfach verpissen würdest und was dein Problem wäre. Ob du Spaß daran hättest, ihr Leben zu zerstören.
Und dann ist alles aus ihr heraus gebrochen, plötzlich hast du verstanden.
Du bist kein Wunschkind. Du bist Mittel zum Zweck. Der einzige Grund, wieso du auf dieser Welt bist, ist dein Vater. Der Mann, dem deine Mutter keinen Wunsch abgeschlagen hätte.
Mit deiner Geburt hat sie ihn an sich binden wollen. Für immer.
Dass sie immer fetter geworden wäre wegen dir, wegen der Schwangerschaft. Dass er Angst gehabt hat, das Ungeborene im Mutterleib zu verletzen und sie deswegen betrogen hätte. Dass er dich mehr geliebt hat, als er sie jemals hätte lieben können. Dass du alles kaputt gemacht hast. Alles.
In deinem Stammcafé blickst du konzentriert auf das Display deines iPads. Deine Finger zittern ein wenig. Du wirst alles anders machen. Du wirst es lieben. Du musst es lieben, denn es wird perfekt sein. Du gibst eine Internetadresse ein. Der Seitenhintergrund ist wahlweise hellblau oder rosa.
Du klickst auf rosa.
Braune Haare, schwarze Haare, blonde Haare…
Braune Haare! Ja nicht so ein schreckliches Straßenköterblond wie du es hast. Es soll dir auf keinen Fall ähnlich sehen, du willst nicht ständig dein Spiegelbild vor Augen haben.
Das Gesicht: Kantig, rund, streng, weich…
Weiche Züge, runde Bäckchen. So wird es einfacher für dich. Einfacher zu lieben.
Du willst ihm all das geben, was dir genommen wurde.
Augen: Braun, Blau, Grün…
So blau wie der Himmel an einem heißen Tag im Juli. Augen, die dich jeden Morgen voller Liebe anschauen.
Du hast noch zwei Minuten Zeit, dann musst du ins Büro.
Fröhlich, damit es dich mit seinem Lachen anstecken kann. Intelligent, damit du ihm niemals ins Gesicht schreien musst, es sei zu dumm. Einfühlsam, damit du endlich jemanden hast, der dich versteht. Temperamentvoll und doch still. Es soll singen können. Zur rechten Zeit. Es soll zärtlich sein. Wenn du es brauchst. Es soll dich trösten. Dann wenn du weinst. Es soll dich vergöttern. Immer.
Du ziehst die letzte Eigenschaft in den Warenkorb.
Deine feuchten Finger hinterlassen eine Spur auf dem Display.
Modell Angelina, zum Sonderpreis von 5374,99 $ .
Du trinkst deinen Kaffee aus, es ist fünf Uhr vierzig und drei Sekunden.
Dann drückst du auf „Jetzt bestellen“.
Einatmen, ausatmen, lächeln.
Einatmen, ausatmen, lächeln.
Deine Hand legt sich auf die kühle Türklinke, langsam drückst du sie hinunter. Zwölf Augenpaare schauen dich an, als du die Tür öffnest. Sie mustern dich von oben bis unten und du hast das Gefühl, unter ihren Blicken zu verbrennen.
Einatmen, ausatmen, lächeln.
Draußen ist es eisig. Der weiße Schnee ist von den Fußgängern zu einer schmutzigen Masse zertreten worden. Deine Füße sind nass, eigentlich ist es zu kalt für High-Heels. Erleichtert stößt du die Tür zu deinem Stammcafé auf, endlich Wärme. Es ist fünf Uhr zweiundzwanzig, dein fettfreier Caramel Macchiato steht wie jeden Morgen für dich bereit.
Du hast achtzehn Minuten Zeit.
Dein Blick wandert über die Brooklyn Street. Die Schaufenster sind mit bunten Lichterketten dekoriert, die ersten Weihnachtsmänner laufen durch die Straßen und drücken den Passanten Flyer in die Hände. Rabattaktionen überall, die Geschäfte laufen gut um die Weihnachtszeit.
Du hast ein Date nach dem anderen, schlitterst von einer Affäre in die nächste – nur um auch ein teures Männerparfüm oder eine seidene Krawatte kaufen zu können.
Mit keinem hast du es länger als drei Wochen ausgehalten, er konnte noch so charmant, noch so kreativ und intelligent, lustig oder einfühlsam sein- irgendetwas hat dir immer gefehlt.
Nie ist jemand dabei gewesen, dem du am nächsten Morgen nachgetrauert hast, wenn er die Tür hinter sich geschlossen und dein Apartment Downtown verlassen hat.
Der einzige Mann, den du jemals in deinem Leben vermisst hast, war dein Vater. Als er gegangen ist hat es sich angefühlt, als müsstest du ersticken. Der Kloß in deinem Hals ist mit jedem Tag, an dem er wegblieb, kleiner geworden. Die Schreie sind allmählich verstummt, die Tränen getrocknet.
Mit einem Nicken begrüßt du die Männer in ihren dunklen Anzügen, die im Halbkreis sitzen und schon auf dich warten. Sie wirken unecht mit den botoxglatten Gesichtern. Dein Avatar betrittt die weiße Box und du tippst auf die Stelle des Displays, die dein Abbild in den riesigen Bildschirm beamen wird. Anfangs war es komisch, sich mitten in der Blaupause der eigenen Präsentation zu sehen, doch mit der Zeit hast du angefangen, die Minuten in der virtuellen Welt zu genießen, die du dir selbst erschaffen hast. Dort läuft alles nach Plan, solange du dich an die Spielregeln hältst.
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Du bist älter geworden, aus dem Spielplatz wurden Einkaufszentren und schließlich fremde Zimmer von fremden Jungs.
Alles um dich herum ist dir vertraut, sicher bewegst du deinen Avatar von einer Grafik zur nächsten. Du magst es, wenn du genau weißt, was in der nächsten Sekunde passiert. Kontrolle, das ist eine Einstellung, die dein Leben bestimmt. Selbstdisziplin. Der Schlüssel zum Erfolg. Damit kannst du dir beweisen, dass du wertvoll bist.
Der Text der Präsentation, den du immer wieder umgeschrieben hast, hört sich für die zwölf Abteilungsleiter kompetent an, du wirkst selbstsicher. Keiner bemerkt deine Angst. Die Angst zu versagen, abgelehnt zu werden.
Sie hat deinen Vater geliebt, über alles. Der bewundernde Blick, wenn sie zu ihm aufgeschaut hat, der Stolz in ihren Augen, wenn er sie zum Essen ausführte. Die Lippen, die sie zusammengepresst hat wenn er dir im Bett vorlas. Wenn er dich seine Prinzessin nannte und dich im Garten so lange im Kreis drehte, bis dir schwindelig wurde. Einmal hat sie deine Schulhefte zerknickt und dir die Schuld zugewiesen. Ein anderes Mal hat sie eine Lok der Modelleisenbahn zerbeult, die dein Vater bei einer Auktion erstanden hat. Ihm hat sie abends erzählt, du hättest sie mutwillig zerstört. Ein drittes Mal hat sie dich in viel zu heißes Badewasser gesteckt, dir den Mund zugehalten und gesagt, du dürfest nicht schreien. Papa würde dich dann nicht mehr lieben. Ihm hat sie erzählt, du hättest einen Topf mit kochend heißem Wasser vom Herd heruntergerissen. Die Narben, die durch die Verbrennung entstanden sind, hast du weglasern lassen. Du tust dein Bestes, um perfekt zu sein.
Der Übergang von der virtuellen in die reale Welt ist ein Moment der Schwerelosigkeit. So muss es sich anfühlen, wenn man durch den Weltraum fliegt.
Die Präsentation ist dir gelungen, die Arbeit hat sich gelohnt. Du siehst dich bereits in der Chefetage, jemand wird seinen Platz für dich räumen müssen.
Immer weiter, immer mehr. Erfolg. Kontrolle. Perfektion. Macht.
Einatmen, ausatmen, lächeln.
Leise hast du die Tür aufgeschlossen und bist auf Zehenspitzen in dein Zimmer geschlichen. Sie hat auf deinem Bett gesessen und dich erwartet. Die Beine hat sie übereinandergeschlagen, mit dem Fuß ungeduldig gewippt.
Den Blick hat sie auf dich gerichtet, als ob sie ein Ziel anvisiert, auf das sie schießen möchte. Wo du dich rumgetrieben hättest, wollte sie wissen. Deine Lehrerin hätte angerufen, du wärest in letzter Zeit übermüdet und abgespannt, ob denn alles in Ordnung wäre. Bevor du ihr hast antworten können, ist sie aufgestanden und hat dich geschlagen. Mitten ins Gesicht.
Wieso du dich nicht einfach verpissen würdest und was dein Problem wäre. Ob du Spaß daran hättest, ihr Leben zu zerstören.
Und dann ist alles aus ihr heraus gebrochen, plötzlich hast du verstanden.
Du bist kein Wunschkind. Du bist Mittel zum Zweck. Der einzige Grund, wieso du auf dieser Welt bist, ist dein Vater. Der Mann, dem deine Mutter keinen Wunsch abgeschlagen hätte.
Mit deiner Geburt hat sie ihn an sich binden wollen. Für immer.
Dass sie immer fetter geworden wäre wegen dir, wegen der Schwangerschaft. Dass er Angst gehabt hat, das Ungeborene im Mutterleib zu verletzen und sie deswegen betrogen hätte. Dass er dich mehr geliebt hat, als er sie jemals hätte lieben können. Dass du alles kaputt gemacht hast. Alles.
In deinem Stammcafé blickst du konzentriert auf das Display deines iPads. Deine Finger zittern ein wenig. Du wirst alles anders machen. Du wirst es lieben. Du musst es lieben, denn es wird perfekt sein. Du gibst eine Internetadresse ein. Der Seitenhintergrund ist wahlweise hellblau oder rosa.
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Braune Haare! Ja nicht so ein schreckliches Straßenköterblond wie du es hast. Es soll dir auf keinen Fall ähnlich sehen, du willst nicht ständig dein Spiegelbild vor Augen haben.
Das Gesicht: Kantig, rund, streng, weich…
Weiche Züge, runde Bäckchen. So wird es einfacher für dich. Einfacher zu lieben.
Du willst ihm all das geben, was dir genommen wurde.
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Du trinkst deinen Kaffee aus, es ist fünf Uhr vierzig und drei Sekunden.
Dann drückst du auf „Jetzt bestellen“.
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